2016

Mare Nostrum

Kulturerhalt in Krisenzeiten

Projektleitung

Prof. Dr. Thomas Maria Weber-Karyotakis

English summary

With the background of the mass destruction of cultural heritage in Syria, Iraq and Yemen and the refugee movements within the Middle East and towards Europe, the Gerda Henkel Foundation set up a “Temporary Funding Initiative for Threatened and Refugee Researchers in Crisis Regions” in autumn 2015. This includes an “Emergency Aid Programme for Syria” in the area of cultural heritage that was added in spring 2016. The aim of these initiatives is to provide individual researchers with the opportunity to continue their research and to initiate archaeological and historical projects in Syria and the neighboring countries by involving local actors.

One of the first funding measures was the support of the "Mare Nostrum" project – a network of several independent subprojects in Jordan. The country has received a large number of Syrian and Palestinian refugees living in huge camps as well as in the cities and communities. The archaeologist Professor Thomas Maria Weber-Karyotakis (German Jordanian University, Amman) developed the project and took over the coordination. The idea behind "Mare Nostrum" is that Jordanian and Syrian scientists, craftsmen and workers from the Palestinian and Syrian refugee camps, Jordanian and Syrian students of the Amman universities as well as the local population are equally involved in the projects.

Vor dem Hintergrund der massiven Zerstörungen von Kulturgütern im Nahen Osten sowie der Fluchtbewegungen innerhalb der Region und nach Europa hat das Kuratorium der Gerda Henkel Stiftung im Herbst 2015 einen „Temporären Förderschwerpunkt für gefährdete und geflohene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Krisengebieten“ eingerichtet. Im Frühjahr 2016 kam ein „Soforthilfeprogramm für Syrien“ hinzu. Ziel der Initiativen: einzelnen Wissenschaftlern die Möglichkeit zu bieten, weiter forschen zu können, und unter Einbindung lokaler Akteure archäologische und historische Projekte in Syrien und den Nachbarländern auf den Weg zu bringen.

Die Umaiyadenmoschee in Aleppo vor und nach der Zerstörung [Bildquelle: Stefan Weber 1999; Sultan Kitaz 2014]

Eine der ersten Fördermaßnahmen war die Unterstützung des Projekts „Mare Nostrum“ – ein Verbund aus mehreren voneinander unabhängigen Teilprojekten in Jordanien. Das Land hat eine Vielzahl syrischer und palästinensischer Flüchtlinge aufgenommen, die sowohl in riesigen Lagern als auch in den Städten und Gemeinden leben. Der Archäologe Prof. Dr. Thomas Maria Weber-Karyotakis (German Jordanian University, Amman) entwickelte das Vorhaben und übernahm die Koordination. Die Idee hinter „Mare Nostrum“: An den Projekten sind jordanische und syrische Wissenschaftler, Handwerker und Arbeiter aus den palästinensischen und syrischen Flüchtlingslagern, jordanische und syrische Studierende der Ammaner Universitäten sowie die lokale Bevölkerung gleichermaßen beteiligt.

Das Kulturzentrum in Umm al-Jimal

Die Kinder und Jugendlichen des Kulturzentrums mit ihren Abschlussurkunden

[Bildquelle:

Thomas M. Weber-Karyotakis

]

In der nordjordanischen Gemeinde Umm al-Jimal wurde in enger Kooperation mit der örtlichen Frauen-Kooperative ein Kulturzentrum für syrische und jordanische Kinder und Jugendliche eingerichtet. Ziel der jeweils drei Monate dauernden Kurse für ca. 20 Mädchen und Jungen ist es, den Teilnehmenden und ihren Eltern kulturelle und historische Traditionen sowie die Bedeutung des kulturellen Erbes zu vermitteln. Die Kurse werden von einem jordanischen und einem syrischen Wissenschaftler gemeinsam in arabischer Sprache gegeben.

Die großen Thermen von Gerasa

Im Herzen der modernen Stadt Gerasa/Jerash wird in enger Kooperation mit jordanischen und französischen Partnern eine römische Thermenanlage erforschtDie Ostthermen von Gerasa gehören zu den größten Badeanlagen des römischen Orients.. Die Ostthermen, die als einziges Baumonument außerhalb des geschützten Antikengeländes inmitten der modernen Stadt liegen, gehören mit etwa 200.000 m2 Grundfläche zu den größten Badeanlagen des römischen Orients. In einigen Abschnitten sind noch bis zu zwölf Meter hohe Decken erhalten.

Im April 2016 erfolgte unter Mithilfe von syrischen Arbeitern der erste Spatenstich zur vollständigen Freilegung der sogenannten Nordhalle der Ostthermen von Gerasa. Schon nach einigen Tagen wurde die harte Arbeit durch einen Sensationsfund entschädigt: Auf der gegenüberliegenden Seite der Nordhalle trat die untere Hälfte einer kolossalen Marmorstatue zutage, die in Sturzlage vorgefunden wurde. Die Position der neben ihr liegenden Säulentrommeln deutete darauf hin, dass die Figur während eines Erdbebens umgestürzt und zu Schaden gekommen sein musste. Am 11. Mai 2016 erfolgte ihre Bergung unter Einsatz eines Krans.

Bei der anschließenden genaueren Untersuchung der Statue zeigte sich, dass das Grabungsteam ein außergewöhnliches Dokument der römischen Kaiserzeit sowohl in kunstgeschichtlicher als auch lokalhistorischer Hinsicht entdeckt hatte: Die untere Hälfte einer ursprünglich etwa drei Meter hohen Statue der nackten Aphrodite, die von ihrem Sohn, dem Liebesgott Eros, begleitet wird. Die Göttin ist im Begriff, ein auf den Boden geglittenes Tuch zwischen den geschlossenen Beinen mit der linken Hand emporzuziehen, um ihre Blöße zu bedecken. Durch eine mehrzeilige griechische Inschrift auf der Vorder- und rechten Seitenkante der Standplatte der Figur sind die historischen Hintergründe ihrer Errichtung überliefert: Zu Ehren des römischen Kaisers stiftete ein reicher, romtreuer Gerasener Bürger namens Demetrios, Adoptivsohn des Asklepiodoros, die Aphroditestatue zusammen mit deren Basis, Altar und Feuerstelle am 20. März 153/54 n. Chr. in einer Nische am ursprünglichen Aufstellungsort, der nicht bekannt ist. Erst zu einem späteren Zeitpunkt wurde die Figur von dort in die Ostthermen der Stadt gebracht.

Die Fundumstände dieses bedeutenden Bruchstücks geben Anlass zur Hoffnung, dass auch die noch fehlenden Teile der Statue bei zukünftigen Ausgrabungen in dem Areal sichergestellt und damit die qualitativ bemerkenswerte Figur vollständig ergänzt werden kann.

Das Anastasios-Edikt von al-Hallabat

Ein weiteres „Mare Nostrum“-Projekt ist ein präventives Dokumentations- und Rekonstruktionsprojekt: Zwei jordanische Restauratorinnen formten die einzelnen Inschriftenblöcke des sogenannten Anastasios-Ediktes ab, um die Inschrift rekonstruieren zu können. Der griechische Gesetzestext, in dem die Verwaltung der Ostgrenze des Byzantinischen Reiches beschrieben wird, wurde während der Regierungszeit des Kaisers Anastasios I. (fünftes bis sechstes Jahrhundert n. Chr.) angefertigt. Im siebten Jahrhundert n. Chr. wurde die Inschrift jedoch demontiert und die einzelnen Inschriftenblöcke wurden beim Bau des ummayyadischen Wüstenschlosses in al-Hallabat wiederverwendet und in den Wänden verbaut.

In den Jahren 2013 und 2014 wurde mit einer Abformung der einzelnen Inschriftenblöcke als präventive Maßnahme begonnen, gefördert durch das Kulturerhalt-Programm des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland. Durch die weitere finanzielle Unterstützung dieses Projektes im Rahmen des „Temporären Förderschwerpunkts für gefährdete und geflohene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Krisengebieten“ der Gerda Henkel Stiftung konnte die Abformung der Inschrift vollständig abgeschlossen werden.

Zu didaktischen Zwecken wurden mehrere Kopien der Inschrift in Originalgröße am Campus der Jordanischen Universität Amman, am Jordan Museum Amman, am Besucherzentrum des Wüstenschlosses in al-Hallabat und nahe des Kultuzentrums in Umm al-Jimal angebracht. Heute stehen diese als didaktisches Instrument für die Ausbildung jordanischer Studenten in griechischer Inschriftenkunde zur Verfügung.

Das Team vor der fertiggestellten Kopie des Anastasios-Edikts in Umm al-Jimal

[Bildquelle:

Thomas M. Weber-Karyotakis

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Interview mit Thomas Maria Weber-Karyotakis über Flüchtlingshilfe in Jordanien

In einem Interview vom 18. Juli 2016 im Haus der Gerda Henkel Stiftung erzählt Prof. Dr. Thomas Maria Weber-Karyotakis von seinen bisherigen Erfahrungen und vom Verlauf der einzelnen Projekte in Jordanien.

Projektinformationen

Projekttitel The Mare Nostrum Project
Projektleitung   

Prof. Dr. Thomas Maria Weber-Karyotakis

Institution German Jordanian University

Karte

Projektort
   
Projektleitung
Prof. Dr. Thomas Maria Weber-Karyotakis

Titelbild: Gipsabgüsse der Inschriftenblöcke aus al-Hallabat in einer dem antiken Versatz entsprechenden Anordnung. Diese experimentelle Aufhängung war eine bedeutende Hilfe für die Rekonstruktion des spätantiken Textes durch Professor Dr. Denis Feissel (Paris)

[Bildquelle:

Thomas M. Weber-Karyotakis

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2015

Ein Zuhause für die Götter

 

1977

Am Anfang war die Aphrodite