2000

Ein Spaziergang durch die Menschheitsgeschichte

Archäologisch-historische Feldforschungen auf der griechischen Plaghiá-Halbinsel

Projektleitung

Prof. Dr. Peter Funke
Dr. Lazaros Kolonas
Prof. Dr. Franziska Lang
Prof. Dr.-Ing. Ernst-Ludwig Schwandner

English summary

Which traces does mankind leave? How does human culture shape landscape and vice versa? These are the substantial questions a broadly installed project on the Greek peninsula of “Plaghiá” tried to answer. A research-team explored in an interdisciplinary study, how humans settled into different epochs in this area, how they used and formed it. The scientists used a wide range of different research forms such as archaeological-historical, paleo-geographical and paleo-botanical methods to integrate natural-environmental, economic, political-social and cultural factors to consider the interactions between each of those factors. For this, the landscape was covered step by step during seven extensive surveys and every form of human traces like strewn ceramic shards in the fields or clearly recognizable walls was documented. It was worth the effort: The result was a big collection of human traces from different ages like middle-paleolithical cave paintings, graves from the Hellenistic ages or a 17th century Osman fortress.

The researchers formed not only detailed map material out of the uncounted little pieces, but by conducting their documentation, they also made a notable contribution to the Mediterranean settlements’ history. We interviewed Professor Franziska Lang and Professor Peter Funke about the conduction and the results of this large project.

Palairos – sogenanntes Heiliges Tor mit Bogen

Welche Spuren hinterlässt der Mensch? Wie formt menschliche Kultur die Landschaft und wird selbst durch sie geformt? Diesen grundsätzlichen Fragen ging ab dem Jahre 2000 ein breit angelegtes Projekt auf der griechischen Plaghiá-Halbinsel nach. Ein Team aus Wissenschaftlern untersuchte in einer interdisziplinären Studie, wie diese Landschaft im Laufe der Menschheitsgeschichte zu verschiedenen Epochen besiedelt, genutzt und geformt wurde. Im Zentrum standen dabei archäologisch-historische, aber auch paläogeographische und paläobotanische Untersuchungen. Ziel der Forschergruppe war es, ein breites Spektrum an Faktoren – naturräumliche, wirtschaftliche, politisch-soziale und kulturelle – mit einzubeziehen und diese in ihren jeweiligen Wechselwirkungen zu untersuchen. Hierzu schritten sie die Landschaft in insgesamt sieben großen Surveys ab und dokumentierten jegliche Form menschlicher Spuren, sei es eine verstreute Tonscherbe im freien Feld oder eine deutlich erkennbare Gebäudemauer.

Die Mühe dieser Detailarbeit hat sich gelohnt. Von der Höhlenmalerei aus dem Mittelpaläolithikum über Gemäuer und Gräber aus der hellenistischen Zeit bis zur osmanischen Festung aus dem 17. Jahrhundert – die Halbinsel offenbarte eine Fülle an Spuren menschlicher Hinterlassenschaften aus verschiedensten Epochen. Aus den unzähligen kleinen Puzzleteilen formten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in jahrelanger Kleinarbeit nicht nur detailliertes Kartenmaterial, sondern leisteten auch einen umfassenden Beitrag zur Besiedlungsgeschichte des Mittelmeers. Wir haben Prof. Dr. Franziska Lang und Prof. Dr. Peter Funke zur Durchführung und den Ergebnissen dieses Großprojekts befragt.

„Eine Analyse des Verhältnis Mensch-Umwelt in seinen historischen Dimensionen“

Interview mit Prof. Franziska Lang und Prof. Peter Funke

Gerda Henkel Stiftung (GHS): Frau Professor Lang, Herr Professor Funke, Sie haben in einem mehrjährigen, interdisziplinären Großprojekt die griechische Plaghiá-Halbinsel erforscht. Warum fiel Ihre Wahl auf diese Gegend? Was macht die Halbinsel archäologisch besonders interessant?

Prof. Lang / Prof. Funke: Es ist glücklichen Umständen zu verdanken, dass wir von griechischer Seite die Erlaubnis erhielten, ab dem Jahre 2000 auf der Plaghiá-Halbinsel an der der Insel Leukas gegenüberliegenden Festlandsseite in der nordwestgriechischen Landschaft Akarnanien unsere siedlungsgeschichtlichen Forschungen durchzuführen„Die Auswertung der in interdisziplinärer Zusammenarbeit von Archäologen, Historikern, Epigraphikern, Geographen, Geologen, Geodäten, Archäobotanikern u.a. gewonnenen Ergebnisse hat das historische Profil dieser Landschaft entscheidend geschärft.“. Vorangegangen waren in den 1990er Jahren mehrjährige historisch-archäologische Feldforschungen im östlichen binnenländischen Grenzbereich Akarnaniens auf dem Territorium und im Umland der antiken Stadt Stratos. Bereits diese Untersuchungen, die wir gemeinsam mit Kollegen*innen der Universität Freiburg, des deutschen Archäologischen Instituts in Berlin und des griechischen Antikendienstes vornehmen konnten, hatten es sich zum Ziel gesetzt, neue Methoden und Techniken zur Erforschung langfristiger siedlungsgeschichtlicher Prozesse zu erproben.

Aufgrund des erfolgreichen Verlaufs dieses Forschungsvorhabens machten uns die zuständigen griechischen Behörden das Angebot, unsere Arbeiten auf der Plaghiá-Halbinsel fortzusetzen. Wir haben diese Offerte nur zu gerne angenommen, da diese Region geradezu ideale Voraussetzungen bot, die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Erkundung einer über lange Zeiträume sich erstreckenden und sich wandelnden Siedlungsgeschichte für eine Landschaft auszuloten, die in der historiographischen Überlieferung trotz ihrer historischen Bedeutung eher ein Schattendasein führt. Das über weite Flächen hin nicht überbaute Untersuchungsgebiet, in dem sich mehrere antike, zum Teil sehr gut erhalte urbane Zentren befinden, ist in drei prägnante naturräumliche Zonen gegliedert: eine Bergregion, eine Küstenregion und eine im östlichen Teil der Halbinsel gelegene Ebene. Aufgrund ihrer landschaftlichen Gestalt erwies sich diese Siedlungskammer als in besonderer Weise geeignet, die Auswirkungen dieser verschiedenen Naturräume auf das Verhältnis Mensch-Umwelt in seinen historischen Dimensionen zu analysieren. Des weiteren sollte die zeitliche Entwicklung der einzelnen Fundorte und deren Nutzungsbereiche anhand der archäologisch greifbaren Funde und Befunde zu bestimmen sein, um im Anschluss daran die epochal differierenden Siedlungsmuster herauszuarbeiten und – soweit möglich – in einem kontrastiven Vergleichsverfahren miteinander in Beziehung zu setzen.

Die erzielten Resultate haben dann unsere Erwartungen mehr als erfüllt. Die Auswertung der in interdisziplinärer Zusammenarbeit von Archäologen, Historikern, Epigraphikern, Geographen, Geologen, Geodäten, Archäobotanikern u.a. gewonnenen Ergebnisse hat das historische Profil dieser Landschaft entscheidend geschärft. So ließ sich die Intensität der Beziehungen nach Unteritalien und Sizilien und damit eine Art adriatischer Oikumene über die Zeiten hin weitaus stärker als bisher nachweisen. Aber das ist nur ein exemplarisches Beispiel! 

GHS: Wie genau muss man sich die Vorgehensweise und alltägliche Arbeit bei derartig großflächig und detailliert angelegten Surveys vorstellen?

Prof„Voraussetzung für das Gelingen eines Surveys ist die Fähigkeit, auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren zu können.“. Lang / Prof. Funke: Diese großflächige und zeitaufwendige Forschung erfordert eine präzise und systematische Planung auf unterschiedlichen Ebenen: Methode der Prospektion, Auswahl der Begehungsareale, Einsatz der Gruppen, Logistik, Fundaufnahme und -bearbeitung, Teambesprechungen, Absprachen mit dem Antikendienst und den lokalen Akteuren. In aller Regel werden nach der generellen Festlegung des Kampagnenziels tägliche Einsatzplanungen vorgenommen, um auf die jeweils konkreten örtlichen Anforderungen reagieren zu können. Das dreistufige Erschließungssystem startet mit einer Vorsondierung durch das sog. „task force team“. Ziel dieser Vorsondierung ist die sinnvolle Auswahl geeigneter Prospektionsflächen. Dieser Schritt dient dazu, unnötigen Zeit- und Energieaufwand zu vermeiden, indem etwa Flächen mit undurchdringlicher Vegetation als nicht begehbar klassifiziert werden. Im nächsten Schritt wird die Prospektion des Zielgebietes durch die Läufergruppen durchgeführt. Beim Plaghiá-Halbinsel-Survey gab es 4 Gruppen à 6 Personen. Durch den Einsatz mobiler GPS Geräte konnten sich die Teams mühelos im Gelände orientieren, und die gemessenen Koordinaten erleichterten die Eintragung von Fundorten in die Geländekarten. Wurden immobile Befunde angetroffen oder Plätze mit einer potentiell hohen Aussagekraft (sog. Fundstellen), sind diese in einer dritten Stufe vom Vermessungsteam aufgenommen und die Funde nach einer speziellen Methode durch die Läufergruppe und das „task force team“ systematisch aufgenommen worden. Das Vermessungsteam arbeitete mit Reflektor-Tachymeter und GPS-Messgeräten, die über Satellitenempfang zentimetergenaue Messungen erlauben. Da dieser Survey keine Epoche präferierte, wurden alle aussagekräftigen Artefakte abgesammelt.

In regelmäßigen Teamgesprächen informierten sich die Gruppen gegenseitig über den jeweiligen Stand, und das weitere Vorgehen wurde gemeinsam abgesprochen. Die logistische Feldplanung bezog sich auf die Absprache zur Anfahrt ins Zielgebiet, und – nicht zu unterschätzen – die Verpflegung der Prospektionsgruppen über den Tag war zu sichern, da die Gruppen ihre Pausen im Feld verbrachten. Trotz dieser klaren Struktur ist die Vorgehensweise nicht statisch, sondern dynamisch, da nicht alles planbar ist. Daher ist eine Voraussetzung für das Gelingen eines Surveys die Fähigkeit, auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren und dementsprechend die ursprüngliche Planung anpassen zu können.

Die umfangreiche Dokumentation der Felddaten ist Basis für die folgenden Auswertungsschritte. Hierbei werden etwa landschaftsräumliche Merkmale und archäologische Daten während der Feldarbeit analog, die der Vermessung digital aufgezeichnet. Während der Kampagne werden die Felddaten in eine eigens konfigurierte Datenbank eingegeben. Die wissenschaftliche Forschungsleistung beim Survey bezieht sich auf zwei Felder: einerseits die methodisch-theoretische Reflexion zu Survey- und Auswertungskonzepten. Andererseits die wissenschaftliche Auswertung der Funde und Befunde eines konkreten Projektes.

Durch die Feldarbeit werden die Funde erschlossen, deren anschließende Aufarbeitung die zentrale Aufgabe im Surveyprojekt ist. Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben in Griechenland müssen die Artefakte vor Ort bleiben. Dort werden die Funde dokumentiert. Diese Daten werden anschließend in die Datenbank eingepflegt, um sie für eine abschließende Auswertung in einer zweiten Projektphase vorzubereiten.

GHS: Hat sich die Arbeit im Laufe der sieben Jahre verändert?

Prof. Lang / Prof. Funke: Im Laufe der Zeit wurden partiell Arbeitstechniken im logistischen Bereich angepasst. An den prinzipiellen Konzepten bestand kein Bedarf nach Änderung, durch die ohnehin die Vergleichbarkeit aller Ergebnisse nicht mehr gewährleistet gewesen wäre.

GHS: Sie haben Unmengen an Material gefunden, von der kleinsten Scherbe bis zu deutlichen Mauerüberresten. Was ließ sich aus den Funden selber schließen und was aus den Fundorten? 

Prof. Lang / Prof. Funke: Die Fundauswertung ist zentraler Bestandteil der Surveyforschung. Dabei sind grundsätzlich mobile Funde (Gefäßscherben, Gerätschaften, Ziegel etc.) von baulichen Resten als immobile Befunde zu unterscheiden. Die Masse des mobilen Fundmaterials bilden Keramik und Ziegel. Die basale Aufgabe jeder archäologischen Forschung ist die Dokumentation. Daher wurden die mobilen Funde beschrieben, gezeichnet, fotografiert und anschließend nach Fundorten geordnet im örtlichen Depot magaziniert. Die Bauten im Prospektionsgebiet wurden vermessen und gezeichnet.

Die Funde sind zentrale Interpretationsvoraussetzungen. Durch sie lassen sich die zeitliche wie auch funktionale Nutzung eines Ortes bestimmen.Vor jeder weiterführenden Überlegung müssen die Orte datiert werden und daher beginnt die Auswertung aller Funde und Befunde mit ihrer zeitlichen Einordnung.

Eine zweite wesentliche Voraussetzung einer landschaftsarchäologischen Interpretation ist die funktionale Bestimmung der Fundorte. Erst durch die Konkretisierung, welche Funktion(en) sich an einem Ort nachweisen lassen, sind qualifizierende Deutungen der Entwicklung und Strukturierung einer Landschaft möglich. Die Funktionsanalyse eines Ortes ist vielschichtig, weil sie von dem Umfang aussagekräftiger Funde am Ort abhängt und jeder Fundkategorie einen unterschiedlichen Grad an Eindeutigkeit und Signifikanz hinsichtlich ihrer Funktion zuweist. Ziegel beispielsweise dienten der Deckung von Dächern und in bestimmten Perioden auch von Gräbern. Ob Haus oder Grab zutreffend ist, würde über weitere Indizien, etwa Mauern, geklärt werden können. Steinbruchspuren oder Reste von Kalköfen sind eindeutige Hinweise auf Produktionsstätten. An vielen Fundorten wurden jedoch nur Gefäßfragmente gefunden, so dass für die Funktionszuordnung dieser Fundorte ein Modell eingeführt wurde, mit dem man über Gefäßfragmente die Nutzung eines Ortes bestimmen kann. Dieses Modell basiert auf der Annahme, dass sich die Funktion eines Ortes (Kultort, Gehöft etc.) über eine charakteristische Zusammensetzung des Keramikspektrums definieren lässt. In dem Modell werden folglich die einzelnen Gefäßfragmente in ihrer Nutzung bestimmt und anschließend in Funktionsgruppen zusammengefasst, wie etwa Konsumption, Lagern oder Transport. Die quantitative Zusammensetzung dieser Funktionsgruppen an einem Ort verweist auf dessen Nutzung. Mit diesen Methoden lässt sich ermitteln, ob an einem Ort ein Gehöft stand oder ein Friedhof angelegt worden war. In der Gesamtschau aller zeitlich wie funktional bestimmten Fundorte kann man auf der Basis von Verbreitungskarten beschreiben, welche Funktionen wo im Prospektionsgebiet verbreitet waren.

GHS: Nach welchen Kriterien wurden die Funde datiert?

Prof. Lang / Prof Funke: In der Surveyforschung werden die Funde für gewöhnlich mit der bewährten chronotypologischen Methode datiert. In diesem methodischen Zugang können nur bereits an anderen Fundorten datierte Gefäße berücksichtigt werden. Da bekanntermaßen regionale Eigenständigkeiten im keramischen Repertoire bestehen, haben wir ein neues Konzept zum Aufbau einer lokalen Typologie entworfen, um möglichst viele Gefäße zeitlich einordnen zu können. Hierfür wurde ein Referenzsystem aufgebaut, in dem die chronologisch sensiblen Attribute von Gefäßen (Form, Material, Oberflächenbehandlung) berücksichtigt wurden.

GHS: Wie ließ sich nachvollziehen, ob Fundobjekte und Befunde über mehrere Epochen in Verwendung waren?

Prof. Lang / Prof. Funke: Ob ein Platz nur in einer oder über mehrere Epochen existierte, lässt sich über die datierten Funde ermitteln. Finden sich an einem Orte Artefakte, die verschiedenen Epochen zuzuweisen sind, so ist davon auszugehen, dass dieser Ort mehrphasig genutzt wurde. Dabei ist zu unterscheiden, und das ist für die Analyse essentiell, ob ein Ort kontinuierlich über mehrere Phasen oder mit Unterbrechungen bestand. Die Persistenz eines Platzes kann man vermutlich auf dessen Standortqualitäten zurückführen und sie steht für seine besondere Attraktivität, wie etwa Ressourcengunst, Wasser, Verkehrswege. Durch diese Analyse lässt sich im Gesamtvergleich aller Orte der Plaghiá-Halbinsel herausarbeiten, welche Standortfaktoren in welchen Epochen relevant waren.

GHS: War die Halbinsel bei Projektbeginn bereits archäologisch erforscht?

Prof. Lang / Prof. Funke: Mit einem Reisebericht von Leon Heuzey aus dem Jahre 1856 beginnt die wissenschaftliche Erforschung der Plaghiá-Halbinsel„Dörpfeld hatte vermutet, dass das in der homerischen Odyssee erwähnte ,Nerikos' auf der Plaghiá-Halbinsel zu suchen und als Vorgängersiedlung von Palairos anzusehen sei.“. 20 Jahre später (1876) reiste Habbo G. Lolling durch Akarnanien und unternahm auch einen Abstecher nach Palairos, der größten antiken Stadt auf der Plaghiá-Halbinsel mit den „sehr gut erhaltenen und höchst interessanten Ruinen“, die er ausführlich beschreibt. Wenig später (1887) legte Eugen Oberhummer eine bis heute immer noch grundlegende Monographie zur Geschichte und Topographie Akarnaniens einschließlich der vorgelagerten Insel Leukas vor, in die die historisch-topographischen Beobachtungen von Heuzey und Lolling eingeflossen sind. Zwischen 1896 und 1906 Jahre bereiste der Archäologe und Bauforscher Friedrich Noack die Region und erstellte einen Stadtplan von Palairos. Darüber hinaus publizierte er Vorberichte über seine Forschungen und hinterließ einen bis heute unpublizierten Bericht über seine Arbeiten in Nordwestgriechenland.

Anschließend fand die Region um Palairos vor allem aus der Perspektive von Leukas und den Ionischen Inseln Beachtung, zumal seitdem Wilhelm Dörpfeld seine „Leukas-Ithaka-Theorie“ vorgelegt hatte. Dörpfeld hatte vermutet, dass das in der homerischen Odyssee erwähnte „Nerikos“ auf der Plaghiá-Halbinsel zu suchen und als Vorgängersiedlung von Palairos anzusehen sei. Nach den Forschungen von Dörpfeld wurden über einen langen Zeitraum hinweg keine weiteren Untersuchungen in der Region durchgeführt. Erst wieder in den 1980 und 1990er Jahren wurden einzelne Orte untersucht, wobei man sich insbesondere auf die architektonischen Hinterlassenschaften fokussierte. Diese extensiven Forschungen erbrachten punktuelle und teils sehr detaillierte Informationen zu einzelnen Orten, die sich dann in unser eigenes Projekt bestens einbinden ließen.

GHS: Welche neuen Erkenntnisse über die Besiedlung der Halbinsel hat ihre Forschung zutage gebracht?

Prof„Es lassen sich verschiedene ,Funktionslandschaften' differenzieren, etwa für Sakralorte oder für Produktionsstätten.“. Lang / Prof. Funke: Auf der Plaghiá-Halbinsel wurde eine andere Fragestellung verfolgt, die den ganzheitlichen und landschaftsarchäologischen Ansatz unseres Projektes begründet. Das Ziel einer flächendeckenden Prospektion der Plaghiá-Halbinsel war es, Aussagen über Struktur und Entwicklung dieser Landschaft zu rekonstruieren und diese Landschaft in Bezug zu den umliegenden Regionen (Leukas, Epirus) zu setzen.

Aufgrund der Ergebnisse unserer Forschungen lassen sich strukturelle Tendenzen in der Besiedlung der Plaghiá-Halbinsel unter drei verschiedenen Aspekten beschreiben. Erstens lässt sich zeigen, dass die Mehrheit der Fundorte, die über die gesamte Halbinsel verteilt sind, nur einer Phase zuzuordnen ist, und dies gilt für alle Epochen. Demgegenüber gibt es nur wenige Orte, die mehr als vier Phasen aufweisen. Diesen Orten können wir deshalb eine bevorzugte Wohnlage attestieren.

Zweitens konnten wir über die Siedlungsstruktur einen guten Überblick gewinnen. Für die klassisch-hellenistische Epoche lassen sich zwei antike Städte jeweils im Osten und Westen der Halbinsel ausmachen, zwischen denen vor allem Gehöfte und einige Dörfer angesiedelt wurden. Vermutlich übernahmen beide Orte für die umliegenden Stätten eine zentrale Funktion, wodurch sich Ortshierarchien herausbildeten. Anders dagegen sind die Strukturen etwa in byzantinischer Zeit. Hier sind keine klar erkennbaren großen Orte anzutreffen, so dass man von eher ausgewogeneren Siedlungshierarchien ausgehen kann. Unter dieser Fragestellung sind auf synchroner wie auch diachroner Ebene die Stadt-Umland-Beziehungen zu beschreiben sowie die Dichte anthropogen genutzter Plätze festzustellen.

Drittens lassen sich durch Funktionsbestimmungen der Orte verschiedene „Funktionslandschaften“ differenzieren, etwa für Sakralorte oder für Produktionsstätten. Besonders interessant ist hierbei festzustellen, dass sich Orte mit Wehrbauten vor allem auf der Südhälfte der Plaghiá-Halbinsel konzentrierten; ein Phänomen, für das noch keine abschließende Begründung zu geben ist.

GHS: Das Projekt zielte auf naturräumliche, politische, wirtschaftliche und kulturelle Aspekte ab. Welche Fachdisziplinen waren daran beteiligt?

Prof. Lang / Prof. Funke: Landschaftsarchäologische Forschungen können unserem Selbstverständnis nach nur interdisziplinär durchgeführt werden. In unserem Team waren die Disziplinen Alte Geschichte, Archäologie, Bauforschung sowie Geoarchäologie, Archäobotanik und Siedlungsgeographie vertreten, so dass neben den archäologisch-historischen Forschungen z.B. auch die Bereiche Wegesysteme, Wüstungsforschung, Vegetationsgeschichte, Palaioumwelt aber auch osmanische Steuerlisten untersucht wurden. Dadurch war die Voraussetzung für eine ganzheitliche Erforschung der Plaghiá-Halbinsel gegeben.

GHS: Wie verlief bei dieser Spannbreite der interdisziplinäre Austausch?

Prof. Lang / Prof. Funke: Neben regelmäßigen Arbeitstreffen, bei denen der jeweilige Forschungsstand präsentiert und seine Bedeutung für das Gesamtprojekt diskutiert wurde, war der direkte Austausch vor Ort besonders wichtig, da sich viele Fragen nur im konkreten naturräumlichen Kontext beantworten ließen. Das gemeinsame Publizieren war dann eine logische Konsequenz.

GHS: Das Projekt war eines der ersten, das in diesem Umfang und ohne Fokus auf eine bestimmte Epoche die Landschaft untersuchte. Was sind die Vor- und Nachteile dieses Ansatzes?

Prof. Lang / Prof. Funke: Der Vorteil, sich auf keine bestimmte Epoche zu fokussieren, erlaubt es, den Wandel in einer Landschaft nachvollzuziehen. Dadurch lässt sich aufzeigen, inwieweit die verschiedenen Epochen strukturell ähnlich oder divergent waren. Gründe für strukturelle Kon- oder Divergenzen sind vielfältig und lassen sich etwa mit politischen, sozialen oder natürlichen Gegebenheiten erklären. Erst ein diachroner Ansatz kann Anhaltspunkte für Kontinuität oder Wandel liefern. Es hat sich auch gezeigt, dass eine zeitlich breite Herangehensweise stärker neue Entwicklungen in Arbeitstechnik und Analysemethoden erfordert.

Nachteil – wenn man es denn als Nachteil bezeichnen möchte – eines epochenübergreifenden landschaftsarchäologischen Projektes ist, dass mehr Spezialisten benötigt werden, die für die Bearbeitung der epochenspezifischen Charakteristika einzusetzen sind. Aber die heutigen, vielfach erprobten und eingeübten Formen interdisziplinärer Zusammenarbeit ermöglichen es, diese Schwierigkeiten zu meistern. Die durch den höheren Personaleinsatz bedingten Mehrkosten zahlen sich jedenfalls aus: die Bearbeitungszeiten sind geringer und die erzielten Ergebnisse sind aussagekräftiger.

GHS: Hat diese Methode „Schule gemacht“?

Prof. Lang / Prof. Funke: Wir möchten ungern von „Schule machen“ sprechen. Aber es steht außer Frage, dass unsere Arbeitsmethoden und -techniken, die wir im ständigen Austausch mit Kollegen*innen anderer vergleichbarer Feldforschungsprojekte entwickeln und verfeinern konnten, durchaus vorbildhaft geworden sind.

GHS: Wie war der Kontakt zur Stiftung und wie haben Sie die Zusammenarbeit während der Förderzeit erlebt?

Prof. Lang / Prof. Funke: Die Forschungsförderung der Gerda Henkel Stiftung umfasst nicht nur die fachliche Seite, sondern sticht auch durch eine hervorragende Betreuung auf der administrativ-organisatorischen Ebene der Projekte hervor.

Aufgrund ihrer besonderen Organisationsstruktur, bei der die Gerda Henkel Stiftung die Idee der „kurzen Wege“ verfolgt, werden bei veränderten oder unvorhergesehenen neuen Arbeitsbedingungen entsprechende Entscheidungen umstandslos und rasch gefällt. Ebenso gestaltet sich die Finanzabwicklung erfreulich flexibel und unbürokratisch. All dies geschieht in angenehmer und freundlicher Atmosphäre und bei hoher Kompetenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die anscheinend alle Projekte im Detail kennen.

Literatur:

F. Lang – E.-L. Schwandner – P. Funke – L. Kolonas – K. Freitag, Das Surveyprojekt auf der Plaghiá-Halbinsel 2000–2002, in: AA 2007, 97-178.

Projektinformationen

Projekttitel Archäologisch-historische Feldforschungen in Nordwestgriechenland (Plaghiá-Halbinsel)
Projektleitung   

Prof. Dr. Peter Funke
Dr. Lazaros Kolonas
Prof. Dr. Franziska Lang
Prof. Dr.-Ing. Ernst-Ludwig Schwandner

Institution Universität Münster, HU Berlin
Fachbereich Archäologie

Karte

Projektort
   
Projektleitung
Prof. Dr. Peter Funke
Dr. Lazaros Kolonas
Prof. Dr. Franziska Lang
Prof. Dr.-Ing. Ernst-Ludwig Schwandner

Sämtliche Bilder entstammen dem Plaghiá-Forschungsprojekt, sofern nicht anders angegeben. Portraitfoto von Prof. Dr. Franziska Lang: Peter Pulkowski.

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